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§ 39 UrhG - Änderungen des Werkes


(1) Der Inhaber eines Nutzungsrechts darf das Werk, dessen Titel oder Urheberbezeichnung (§ 10 Abs. 1) nicht ändern, wenn nichts anderes vereinbart ist.

(2) Änderungen des Werkes und seines Titels, zu denen der Urheber seine Einwilligung nach Treu und Glauben nicht versagen kann, sind zulässig.


I. Allgemeines

Mit Hilfe des geistigen Eigentums werden neben den wirtschaftlichen auch die intellektuellen und persönlichen Interessen des Urhebers an seinem Werk anerkannt und gesichert. Die Integrität des Werkes hat dabei einen besonders hohen Stellenwert, wie wir bereits anhand des § 14 UrhG erfahren haben. Eingriffe in das Werk können nicht nur das Ansehen des Urhebers in der Öffentlichkeit gefährden, sondern verletzen auch dessen Künstlerehre. Der Rechtsverletzer muss diesen immateriellen Schaden zusätzlich neben dem gegebenenfalls entstandenen materiellen Schaden ausgleichen (§ 97 Abs. 2 UrhG). Gleiches gilt für Verletzungen des Rechts auf Urheberbezeichung (§ 13 UrhG), bei dem nicht die Integrität des Werkes, sondern die Achtung der Person des Urhebers als Schöpfer im Vordergrund steht.

§ 39 UrhG erweitert den Integritätsschutz und den Schutz der Urheberbezeichnung im Bereich vertraglicher Beziehungen mit dem Urheber sowie über § 62 Abs. 1 Satz 2 UrhG im Bereich sonstiger erlaubter Nutzungen. Er erfüllt dabei mehrere wichtige Funktionen. Zum einen erlaubt § 39 Abs. 1 UrhG vertragliche Verfügungen in seinem Bereich, dadurch kommt zum Ausdruck, dass die urheberpersönlichkeitsrechtlichen Befugnisse (§§ 12 UrhG ff.) dispositiven Charakter haben. Zum zweiten stellt § 39 Abs. 1 UrhG klar, dass auch wenn jemand - zum Beispiel aufgrund eines Vertrages mit dem Urheber - ein Werk nutzen darf, er dadurch nicht schon zu Eingriffen in die Werkintegrität oder die Urheberbezeichnung berechtigt ist. Der Respekt, den das geistige Eigentum dem Autor vermittelt und seinen Mitmenschen abverlangt, wird durch die Begründung einer vertraglichen Beziehung nicht aufgelöst. Nur zur Hinnahme jener Einschränkung ist der Urheber verpflichtet, welche ihm im Einvernehmen abgerungen werden kann. Diese grundsätzliche Notwendigkeit des Einverständnisses auf Seiten des Urhebers wird jedoch in § 39 Abs. 2 UrhG relativiert. Demnach darf der Nutzungsberechtigte solche Änderungen des Werkes eigenständig vornehmen, zu denen der Urheber seine Einwilligung nach Treu und Glauben nicht versagen dürfte.

Obgleich § 39 UrhG aufgrund seiner Stellung im Gesetz unmittelbar nur für Nutzungsverträge gilt, wird er analog auch auf sonstige Verträge mit dem Urheber angewandt, die keine Verwertung des Werkes beinhalten. Praktisch bedeutsam ist dies vor allem bei Bauwerken. Hier kommt es häufig zu Spannungen zwischen dem Architekten, der seine künstlerischen Interessen gefährdet sieht, und dem Eigentümer. Zwar darf der Eigentümer sein neu errichtetes Haus benutzen und grundsätzlich nach eigenem Gutdünken damit verfahren sowie alle wirtschaftlichen Nutzungen, die ihm aufgrund seines Eigentumsrechts (§ 903 BGB) zustehen, in Anspruch nehmen. Bauliche Veränderungen greifen jedoch in die Integrität des Bauwerkes ein. Durch den Architektenvertrag werden keine Rechte zur wirtschaftlichen Verwertung des Urheberrechts (§ 15 UrhG) an dem Bauwerk eingeräumt. Weil aber auch in Verträgen, die keine Nutzungsverträge sind, die gegenseitige Interessenlage vielschichtiger sein kann und § 14 UrhG nur die geistigen und persönlichen Interessen des Urhebers berücksichtigt, nicht aber zum Beispiel die in Verträgen regelmäßig ebenfalls ein Rolle spielenden wirtschaftlichen Interessen, muss der Anwendungsbereich des § 39 UrhG entsprechend ausgeweitet werden.

II. Systematik

Im Vertragsrecht bildet § 39 UrhG die zentrale änderungsrechtliche Norm, und ist deshalb spezieller gegenüber § 14 UrhG. Beide Vorschriften sind jedoch nebeneinander anwendbar. Der Grundsatz der Interessenabwägung, welcher in § 14 UrhG zum Ausdruck kommt, wirkt im Bereich des § 39 UrhG fort und wird sogar noch ausgeweitet. Gegenüber § 39 UrhG ist § 62 UrhG eine speziellere Vorschrift im Bereich der Urheberrechtsschranken (§§ 44a ff. UrhG). Im Bereich der Filmwerke beinhaltet § 93 UrhG die erhebliche Einschränkung, dass der Urheber Änderungen mit Ausnahme gröblicher Beeinträchtigen hinzunehmen hat. Schließlich stellt im Bereich der Computerprogramme § 69c UrhG die speziellere Vorschrift dar, welche Änderungen insgesamt dem Urheber vorbehält. § 39 UrhG ist neben § 69c UrhG unanwendbar.

Innerhalb des § 39 UrhG bildet bei der Frage der Zulässigkeit einer Änderung der bestehende Vertrag den Ausgangspunkt der Untersuchung. Verträge sind nach allgemeinen Grundsätzen, das heißt nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte, auszulegen (§§ 133, 157, 242 BGB). Führt die Vertragsauslegung zu keinem Ergebnis, ist gemäß § 39 Abs. 2 UrhG zu ermitteln, ob der Urheber zu einer entsprechenden Einwilligung nach Treu und Glauben verpflichtet wäre, wobei insbesondere der Vertragszweck eine entscheidende Rolle spielt. Dieser letzte Schritt gilt jedoch nicht für Änderungen der Urheberbezeichnung, denn sie sind vom Anwendungsbereich des § 39 Abs. 2 UrhG ausgenommen und daher unzulässig, wenn die Vertragsauslegung nichts Gegenteiliges ergeben hat.

III. Änderungen als Gegenstand vertraglicher Vereinbarungen mit dem Urheber

In der Praxis besteht ein großes Bedürfnis, Änderungen des Werkes vorzunehmen. Viele Formen der Verwertung werden dadurch überhaupt erst möglich. Änderungen treten in verschiedenen Formen auf. Die intensivsten Formen der Änderung sind die Bearbeitung i.S.d. §§ 3, 23 UrhG sowie die Kürzung oder Beschneidung eines Werkes. Musik in der Film- und Fernsehwerbung wäre ohne Kürzungen nicht denkbar, denn ein Werbespot erreicht nie die Länge des verwendeten Titels. Weltweite Verlagsrechte eines Romans machen nur Sinn, wenn das Werk in verschiedene Sprachen übersetzt werden kann. Bei der Aufführung eines Theaterstückes wird der Regisseur, welcher mit der bühnenmäßigen Umsetzung betraut ist, oft seine eigenen künstlerischen Vorstellungen einbringen wollen. Weniger einschneidende Formen der Änderungen sind bloße Anpassungen des Werkes, die ebenfalls durch die jeweilige Nutzungsart bedingt sein können. Werke der bildenden Künste müssen für eine Verwertung oftmals in Größe, Auflösung und Farbzusammensetzung dem jeweiligen Medium angepasst werden, zum Beispiel bei der Verwendung für Postkarten oder als Grafiken im Internet.

1. Begriff der Änderung

Änderungen sind alle direkten und indirekten Eingriffe in ein Werk. Der Begriff entspricht somit der Beeinträchtigung i.S.d. § 14 UrhG (Wandtke/Grunert in Wandtke/Bullinger § 39 Rn. 9). Eine Einschränkung auf körperliche Substanzeingriffe macht keinen Sinn (so aber BGH GRUR 1999, 425; KG ZUM 2001, 591), denn die spezifische Interessenlage, welche durch einen Vertrag begründet wird, besteht auch in den übrigen Fällen möglicher Beeinträchtigungen. Warum dabei sowohl der Urheber als auch dessen Vertragspartner weniger schutzbedürftig und die Berufung auf Treu und Glauben ausgeschlossen sein sollen, ist nicht nachvollziehbar.

Gegenstand der Vorschrift sind nur abgeschlossene, vom Urheber zur Durchführung des Vertrages autorisierte Werke. Änderungen innerhalb des Schaffensprozesses werden deshalb nicht erfasst (Wandtke/Grunert in Wandtke/Bullinger § 39 Rn. 6), zum Beispiel solche, die der Urheber auf Drängen seines Vertragspartners selbst vornimmt (vgl. BGH GRUR 1971, 270 f. - Das zweite Mal).

2. Vertragliche Vereinbarung

Änderungsvereinbarungen stellen Verfügungen über das Urheberpersönlichkeitsrecht dar und sind deshalb obligatorischer Natur (mehr dazu sowie zu Verfügungen über das Urheberpersönlichkeitsrecht insgesamt in der Kommentierung zu § 12 UrhG). Ihrer Zulässigkeit, welche sich aus § 39 Abs. 1 UrhG ergibt, sind jedoch Grenzen gesetzt. Diese ergeben sich aus der Unübertragbarkeit des Urheberrechts sowie aus der Bedeutung des Kernbereichs des Urheberpersönlichkeitsrechts.

Das Urheberrecht als Ganzes ist unveräußerlich (§ 29 Abs. 1 UrhG), deshalb sind pauschale Gestattungen aller denkbaren Werknutzungen nicht möglich; der Urheber kann auch eine Einwilligung in gänzlich unbestimmte Änderungen nicht wirksam erteilen (Wandtke/Grunert in Wandtke/Bullinger § 39 Rn. 9). Denn dies würde dem Begünstigen ermöglichen, völlig frei und ohne Rücksicht auf den Urheber mit dem Werk zu verfahren. Der Schutz des Urhebers vor einem derart umfassenden Kontrollverlust ist aber der Grund für die Unübertragbarkeit des Stammrechts. Auf der anderen Seite brauchen geplanten Änderungen des Werkes nicht in allen Einzelheiten festgelegt werden. Eine gewisse Generalisierung ist zulässig, soweit sie nicht jegliche Kontur vermissen lässt. In der Praxis sind gewisse Erfordernisse oft nicht vorhersehbar. Zu strenge Anforderungen dürfen nicht gestellt werden, anderenfalls könnte dem Nutzungsberechtigten die Ausführung des Vertrages erheblich erschwert werden. Dies wäre nicht im Sinne des Urhebers, dem die Verwertung ebenfalls wirtschaftlich zugutekommt. Wichtig ist nur, dass der Urheber im Zeitpunkt der Gestattung im Großen und Ganzen einen Überblick über die Tragweite der Übereinkunft erhält (Wandtke/Grunert in Wandtke/Bullinger § 39 Rn. 10 ). Einer zum Großteil unbestimmten Änderungsvereinbarung kann im Einzelfall eventuell durch die Bemühung des Vertragszwecks Kontur verliehen werden.

Änderungsbestimmungen sind unzulässig und nichtig, wenn sie in den unantastbaren Kernbereich des Urheberpersönlichkeitsrechts eingreifen. Dieser Kernbereich ist betroffen, wenn durch die Art der Ausübung der übertragenen Befugnisse die geistigen und persönlichen Beziehungen des Urhebers zu seinem Werk schwerwiegend gefährdet oder verletzt würden (BGHZ 15, 260 – Cosima Wagner). Den Kernbereich berühren etwa Regelungen, in denen der Urheber auf sein Recht auf Anerkennung der Urheberschaft gänzlich verzichtet oder die Einwilligung zu gröblichen Entstellungen oder Verstümmelungen des Werkes erteilt. Auch ein unbefristeter oder unwiderruflicher Verzicht auf Urheberpersönlichkeitsrechte ist ausgeschlossen (Dreyer in HK-UrhR Vor §§ 12 Rn. 17). Änderungen, die den Sinngehalt des Werkes im Kern verändern, verletzen den Kernbereich des Urheberpersönlichkeitsrechts (BGH GRUR 1954, 81).

Änderungsvereinbarungen können sowohl ausdrücklich als auch stillschweigend getroffen werden. Eine ausdrückliche Vereinbarung bildet die Einräumung des Bearbeitungsrechts, denn die Bearbeitung ist nur eine Kategorie der möglichen Änderungen eines Werkes. Stillschweigende Änderungsbefugnisse ergeben sich häufig aus dem Inhalt bestimmter eingeräumter Verwertungsarten. Wurde eine Verwertung im Internet lizensiert, so kann damit bei Werken der Musik die Umwandlung in mp3, bei Werken der bildenden Künste die Änderung des Formats und der Auflösung verbunden sein. Gestattet der Komponist die Verwendung seines Werkes für einen Werbespot, so ist er stillschweigend mit den erforderlichen Kürzungen einverstanden. Ebenso verzichtet er auf sein Recht auf Urheberbezeichnung. Denn in der Werbung ist die Nennung des Urhebers nicht üblich. Dieses Beispiel macht deutlich, dass sich das Vorliegen einer stillschweigenden Vereinbarung auch aus einer bestehenden Branchenübung ergeben kann. Voraussetzung ist jedoch, dass den Parteien im Zeitpunkt des Vertragsschlusses diese Branchenübung bekannt gewesen ist.

3. Auslegung des Vertrages

Die Auslegung des Vertrages richtet sich nach den allgemeinen Grundsätzen des bürgerlichen Rechts. Die maßgeblichen Vorschriften sind die §§ 133, 157 und 242 BGB. Sie bilden mittlerweile eine Einheit und werden von der Rechtsprechung oft in einem Atemzug genannt, ohne dass zwischen ihnen im Einzelnen differenziert wird. Der Grundsatz von Treu und Glauben spielt bereits innerhalb der Vertragsauslegung eine erhebliche Rolle.

Im Bereich der Nutzungsrechtsverträge ist des Weiteren die sogenannte Zweckübertragungslehre (§ 31 Abs. 5 UrhG) zu beachten. Sie besagt, dass im Zweifel der Urheber Nutzungsrechte nach Inhalt und Umfang nur insoweit eingeräumt hat, als dies zur Erreichung des Vertragszwecks zwingend erforderlich ist.

Die Vertragsauslegung vollzieht sich in drei Stufen. Auf der ersten Stufe wird festgestellt, was die Parteien erklärt haben. Die zweite Stufe umfasst die Deutung dieses Erklärungstatbestandes, also die eigentliche Vertragsauslegung (Singer, in: Staudinger § 133 Rn. 8). Die dritte Stufe wird als ergänzende Vertragsauslegung bezeichnet. Sie setzt dort an, wo die Auslegung des von den Parteien Erklärten zu keinem eindeutigen Ergebnis führt und schließt die in dem Vertrag offen gelassenen Lücken (Roth in Staudinger, § 157 Rn. 4). Die ergänzende Vertragsauslegung stellt auf einen hypothetischen Parteiwillen ab, während innerhalb des § 39 Abs. 2 UrhG die im Vertrag offen gebliebenen Fragen durch eine vom Parteiwillen losgelösten objektiven Interessenabwägung gelöst werden. Da jedoch schon bei der Ermittlung des hypothetischen Parteiwillens eine umfassende Interessenabwägung gefragt ist, werden die Übergänge in der Regel fließend sein.

a) Grundlage des Erklärungstatbestandes bildet nicht nur das mündlich oder schriftlich von den Parteien wiedergegebene Wort, sondern auch das Gesamtverhalten der Erklärenden einschließlich aller Nebenumstände, wie zum Beispiel Vorverhandlungen und Vorbesprechungen, der wirtschaftliche Zweck oder auch vorbestehende Vertragsbeziehungen, soweit dies einen Rückschluss auf den Sinngehalt der Erklärung zulässt (Busche in Münchener Kommentar § 133 Rn. 52). Der innere Wille einer Partei, den sie nicht zum Ausdruck gebracht hat, ist dagegen unbeachtlich.

b) In der einfachen Vertragsauslegung hat die Ermittlung des tatsächlichen Parteiwillens Vorrang und darf nicht durch einen hypothetischen Parteiwillen ersetzt werden. Bei der Feststellung des Parteiwillens ist nicht an den buchstäblichen Formulierungen der Vertragspartner festzuhalten sondern der wirkliche, hinter einer Formulierung stehende Wille ist zu erforschen (§ 133 BGB). Für die Ermittlung der Erklärungsbedeutung kommt es vorrangig auf den allgemeinen Sprachgebrauch an, haben die Parteien einen davon abweichenden Sprachgebrauch eines bestimmten Verkehrskreises benutzt, so ist dieser zu beachten (Busche in Münchener Kommentar § 133 Rn. 54). Bei Widersprüchen zwischen der Erklärung und dem übrigen Verhalten der Parteien stellt die Rechtsprechung vorrangig auf das Verhalten ab, da es den wirklichen Willen besser offenbare (Busche ebenda). Die Auslegung von Erklärungen erfolgt auf Grundlage des sogenannten Empfängerhorizonts, das heißt es kommt darauf an, wie eine Erklärung nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte aus der Sicht des Empfängers verstanden werden musste (BGHZ 36, 33). Wenn sich ein Vertragspartner also missverständlich ausdrückt, so trägt er das Risiko, dass seiner Erklärung eine andere Bedeutung zugemessen wird, als von ihm beabsichtigt.

Bereits innerhalb der Vertragsauslegung ist das Gebot von Treu und Glauben zu beachten. Daraus ergibt sich zunächst, dass Widersprüche bei der Deutung zu vermeiden sind; des Weiteren findet eine Berücksichtigung der Interessen der Gegenseite bereits an dieser Stelle statt (Busche in Münchener Kommentar § 157 Rn. 6 f.). Ausfluss des Prinzips der Interessenabwägung ist beispielsweise das bereits erwähnte Abstellen auf den Empfängerhorizont.

c) Wo der tatsächliche Wille der Parteien sich nicht erforschen lässt oder zur Lösung des bestehenden Problems nicht beizutragen vermag, können Lücken im Vertrag mit Hilfe der ergänzenden Vertragsauslegung geschlossen werden. Dazu wird auf den hypothetischen Willen der Parteien abgestellt. Entscheidend ist dabei, was die Parteien bei einer angemessenen Abwägung ihrer Interessen nach Treu und Glauben als redliche Vertragspartner vereinbart hätten, wenn sie den nicht geregelten Fall bedacht hätten (BGHZ 9, 277). Dabei sind insbesondere die individuellen Vorstellungen und Eigenheiten der Parteien zu berücksichtigen (Roth in Staudinger § 157 Rn. 32).

Der ergänzenden Vertragsauslegung sind jedoch Grenzen gesetzt. Mit ihrer Hilfe dürfen Erklärungsinhalte nicht verändert werden oder Widersprüche zum sonstigen Vertragsinhalt entstehen. Auch darf sie nicht zu einer unzulässigen Erweiterung des Vertragsgegenstandes führen (Roth in Staudinger § 157 Rn. 38 f.). Ergeben sich verschiedene Auslegungsmöglichkeiten, verbietet sich eine ergänzende Vertragsauslegung, wenn der Wille der Parteien weder in die eine noch in die andere Richtung weist – in derartigen Fällen kann ein hypothetischer Parteiwille nicht ermittelt werden (Roth in Staudinger § 157 Rn. 43; BGHZ 90, 80).

IV. Änderungen nach § 39 II

Wo die ergänzende Vertragsauslegung an ihre Grenzen stößt, beginnt der Anwendungsbereich des § 39 Abs. 2 UrhG. Dadurch wird verhindert, dass Lücken im Vertrag, die nicht durch Auslegung geschlossen werden können, einer interessengerechten Verwertung im Wege stehen, insbesondere wenn eine geplante Änderung für die Erreichung des Vertragszwecks erforderlich ist.

§ 39 Abs. 2 UrhG beinhaltet daher eine über die konkrete vertragliche Regelung hinausgehende gesetzliche Änderungsbefugnis des Werknutzers. Wie bereits erläutert, ermöglicht Abs. 2 nur Änderungen des Werkes und seines Titels, nicht jedoch der Urheberbezeichnung. § 39 Abs. 2 UrhG gestattet nicht nur die Änderung an sich sondern auch die Verwertung der veränderten Fassung des Werkes, und kann deshalb auch als Spezialvorschrift zu § 23 UrhG angesehen werden (Kotthoff in HK-UrhR § 39 Rn. 8).

Die Zulässigkeit der Änderung hängt von einer umfassenden Interessenabwägung ab. Ausgangspunkt der Interessenabwägung sind die bereits im Rahmen des § 14 UrhG etablierten Grundsätze. Auf die dortige Kommentierung kann deshalb verwiesen werden. Anders als bei § 14 UrhG sind jedoch nicht nur die geistigen und persönlichen, sondern auch alle sonstigen Interessen des Urhebers, die bei Vertragsschluss für diesen erkennbar eine Rolle gespielt haben, in die Abwägung mit einzubeziehen.

Änderungen, die nur geringfügig vom Original abweichen und nach der Verkehrsanschauung als unwesentlich gelten, sind ohne weiteres zulässig (Wandtke/Grunert in Wandtke/Bullinger § 39 Rn. 23).

Die Interessenabwägung im Anwendungsbereich des § 39 Abs. 2 UrhG wird entscheidend durch den Vertragszweck mitbestimmt. Er hat maßgeblichen Einfluss auf den Umfang, in dem Änderungen vorgenommen werden dürfen. Es bedarf zunächst der Feststellung, welche Ziele mit dem Vertrag erreicht werden sollen. Dient die eingeräumte Nutzung der Produktion einer Werbe- oder Promotionkampagne, wobei umfangreiche gestalterische Arbeiten anstehen, ist der Spielraum für Änderungen erheblich größer als bei der Durchführung von Ausstellungen, bei denen die teilnehmenden Künstler naturgemäß besonderen Wert auf die Authentizität ihrer Werke legen.

Je konkreter die Bezeichnungen der Art und Weise der Werkverwertung erfolgt, desto eher kann sich eine stillschweigende Änderungsbefugnis i.S.d. Abs. 1 ergeben. Ein Fotograf, der im Nutzungsvertrag sein Werk für die Verwertung als Handylogo freigibt, ist auch mit der erheblichen Reduzierung der Auflösung einverstanden. Eine Interessenabwägung erübrigt sich in diesem Fall. Anders verhielte es sich in unserem Beispiel, wenn der Vertrag eine Verwertung „in den neuen Medien“ vorsähe. Dass der Urheber bei einer derartigen Absprache auch das stark reduzierte Handyformat in Betracht zieht, ist nicht zwingend. Allein mit Hilfe der Vertragsauslegung kommt man hier nicht weiter, so dass der Anwendungsbereich des § 39 Abs. 2 UrhG eröffnet ist. Bei der Interpretation des Vertragszwecks kann ein Blick auf die Arbeit des Fotografen hilfreich sein. Ist diese für die Verwertung im Handyformat geeignet, kann die Interesenabwägung zugunsten des Verwerters ausfallen. Für eine solche Eignung sprechen einfach gehaltene Formgebung und Aufbauweise, durch die der Sinngehalt des Werkes auch im Kleinstformat erhalten bleibt. Werke, deren charakteristische Merkmale bei einer entsprechenden Reduzierung nicht mehr erkennbar sind, wären dagegen ungeeignet. Dies trifft besonders auf komplexe, durch Detailreichtum gekennzeichnete Arbeiten zu.

Auch die Kategorie des vertragsgegenständlichen Werkes ist zu berücksichtigen. Theaterstücke und Musikkompositionen bedürfen beispielsweise regelmäßig einer Umsetzung durch ausübende Künstler, Dirigenten oder Regisseure. Bei solchen interpretationsbedürftigen Werken ist der Spielraum für Änderungen selbstverständlich größer als bei Werken, die direkt vermittelt werden, wie solche der Literatur oder der bildenden Kunst. Änderungsbefugnisse ergeben sich hier zum einen aus der Gestaltungsfreiheit des Regisseurs, dem im Einzelfall auch künstlerisch gewagte Inszenierungen erlaubt sein können, soweit die vertraglichen Absprachen dem nicht entgegenstehen. Zum anderen müssen die für die Umsetzung gegebenen Möglichkeiten beachtet werden. Jede Bühnenaufführung ist von den Realitäten des jeweiligen Theaters abhängig, insbesondere von den räumlichen Verhältnissen, der Zusammensetzung seines künstlerischen Personals und dem zur Verfügung stehenden Etat. Deshalb können eigenmächtig unwesentliche Kürzungen oder Streichungen kleinerer Rollen vorgenommen und Regieanweisungen des Autors übergangen werden (BGH GRUR 1971, 37 – Maske in Blau). Aufführungen können auch gekürzt werden, wenn eine Darbietung in voller Länge dem Publikum nicht zugemutet werden kann (Wandtke/Grunert in Wandtke/Bullinger § 39 Rn. 30). Bei der Interpretation von Werken der Musik ist der Spielraum deutlich eingeschränkter. Änderungen, die Bearbeitungen im Sinne des § 3 UrhG darstellen, bedürfen regelmäßig der Zustimmung des Urhebers. Dies gilt zumindest im Bereich von Studioaufnahmen. Größer ist der Spielraum bei Live-Darbietungen. Soweit sich aus dem Vertrag nichts anderes ergibt, hat der Interpret eine erhebliche künstlerische Freiheit, er ist zu Improvisationen berechtigt und darf auch Zitate anderer Werke in seine Darbietung einbauen. Dies gilt auch dann, wenn Live-Mitschnitte der Darbietung zum Zweck der Vervielfältigung und Verbreitung auf Tonträgern hergestellt werden.

Die wesentlichen Züge des Werkes müssen jedoch in ihrem Kern stets erhalten bleiben, sinnentstellende Kürzungen oder Umarbeitungen sind in jedem Fall zu unterbinden (BGH GRUR 1971, 37 – Maske in Blau).

V. Rechtsfolgen

Nach Abs. 2 zulässige Änderungen darf der Nutzungsberechtigte eigenmächtig vornehmen. In der Praxis empfiehlt es sich trotzdem, eine Abstimmung mit dem Urheber zu erzielen, denn der Nutzungsberechtigte hat im Zweifel die Umstände zu beweisen, aus denen sich seine Änderungsbefugnis ergibt.

Im Übrigen rufen Verletzungen des Änderungsverbots die gleichen Rechtsfolgen wie im Bereich des § 14 UrhG hervor (siehe dort). Der Urheber kann diese Rechte neben seinen vertraglichen Ansprüchen geltend machen.